Schritte

Von Drei Verwandlungen des Geistes schrieb Friedrich Nietzsche in seinem Meisterwerk "Also sprach Zarathustra - ein Buch für alle und keinen". 4 Wochen im Camp Amok hatte ich Zeit, meine Entwicklung mit der Verwandlung des Geistes zum Kameele, vom Kamel zum Löwen und zum Schluss vom vom Löwe zum Kinde bei mir selbst zu bewerten.

Geboren als optimal gebundener Geist kam der in "Menschliches, Allzumenschliches" beschrieben plötzliche Erdstoss wie in folgendem Aphorismus vor einigen Jahren auf mich zu:

"Man darf vermuthen, dass ein Geist, in dem der Typus "freier Geist" einmal bis zur Vollkommenheit reif und süss werden soll, sein entscheidendes Ereigniss in einer grossen Loslösung gehabt hat, und dass er vorher um so mehr ein gebundener Geist war und für immer an seine Ecke und Säule gefesselt schien. Was bindet am festesten? welche Stricke sind beinahe unzerreissbar? Bei Menschen einer hohen und ausgesuchten Art werden es die Pflichten sein: jene Ehrfurcht, wie sie der Jugend eignet, jene Scheu und Zartheit vor allem Altverehrten und Würdigen, jene Dankbarkeit für den Boden, aus dem sie wuchsen, für die Hand, die sie führte, für das Heiligthum, wo sie anbeten lernten, - ihre höchsten Augenblicke selbst werden sie am festesten binden, am dauerndsten verpflichten. Die grosse Loslösung kommt für solchermaassen Gebundene plötzlich, wie ein Erdstoss: die junge Seele wird mit Einem Male erschüttert, losgerissen, herausgerissen, - sie selbst versteht nicht, was sich begiebt. Ein Antrieb und Andrang waltet und wird über sie Herr wie ein Befehl; ein Wille und Wunsch erwacht, fortzugehn, irgend wohin, um jeden Preis; eine heftige gefährliche Neugierde nach einer unentdeckten Welt flammt und flackert in allen ihren Sinnen. "Lieber sterben als hier leben" - so klingt die gebieterische Stimme und Verführung: und dies "hier", dies "zu Hause" ist Alles, was sie bis dahin geliebt hatte! Ein plötzlicher Schrecken und Argwohn gegen Das, was sie liebte, ein Blitz von Verachtung gegen Das, was ihr "Pflicht" hiess, ein aufrührerisches, willkürliches, vulkanisch stossendes Verlangen nach Wanderschaft, Fremde, Entfremdung, Erkältung, Ernüchterung, Vereisung, ein Hass auf die Liebe, vielleicht ein tempelschänderischer Griff und Blick rückwärts , dorthin, wo sie bis dahin anbetete und liebte, vielleicht eine Gluth der Scham über Das, was sie eben that, und ein Frohlocken zugleich, dass sie es that, ein trunkenes inneres frohlockendes Schaudern, in dem sich ein Sieg verräth - ein Sieg? über was? über wen? ein räthselhafter fragenreicher fragwürdiger Sieg, aber der erste Sieg immerhin: - dergleichen Schlimmes und Schmerzliches gehört zur Geschichte der grossen Loslösung. Sie ist eine Krankheit zugleich, die den Menschen zerstören kann, dieser erste Ausbruch von Kraft und Willen zur Selbstbestimmung, Selbst-Werthsetzung, dieser Wille zum freien Willen: und wie viel Krankheit drückt sich an den wilden Versuchen und Seltsamkeiten aus, mit denen der Befreite, Losgelöste sich nunmehr seine Herrschaft über die Dinge zu beweisen sucht! Er schweift grausam umher, mit einer unbefriedigten Lüsternheit; was er erbeutet, muss die gefährliche Spannung seines Stolzes abbüssen; er zerreisst, was ihn reizt. Mit einem bösen Lachen dreht er um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, wenn man sie umkehrt. Es ist Willkür und Lust an der Willkür darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, - wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrunde seines Treibens und Schweifens - denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste - steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. Kann man nicht alle Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht Böse? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist Alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht eben dadurch auch Betrüger? müssen wir nicht auch Betrüger sein?" - solche Gedanken führen und verführen ihn, immer weiter fort, immer weiter ab. Die Einsamkeit umringt und umringelt ihn, immer drohender, würgender, herzzuschnürender, jene furchtbare Göttin und mater saeva cupidinum ["wild mother of the passions", "Wilde Mutter der Leidenschaften"] -aber wer weiß es heute, was Einsamkeit ist? ..."

Der Geist wird nicht als Kamel geboren, sondern das Kamel ist das erste Ziel, wenn der karmische Prozess des werdens zum Frei-Geist erst begonnen hat.

Mehrmals bin ich in den 4 Wochen am Kanal gescheitert, bei dem Versuch mein Ich zu unterdrücken, und den Entwicklungsschritt zum Kamel zu akzeptieren. Meine Triebe und Instinkte, meine Lust und meine Scham, und vor allem meine Ängste sind noch immer zu bestialisch, unkontrolliert und so voller Willkür, dass ich keine Ordnung in meine Empfindungen bringen kann.

Eine Sache hat mir der Aufenthalt dort gegeben: Ich habe einen nie zuvor da gewesenen Drang, über meine geistige Entwicklung zu schreiben. Vielleicht werde ich auch wieder Teile auf diesem Blog veröffentlichen.

3 Kommentare:

  1. Wie wäre es wenn man den beschriebenen Prozess mit mehreren Peronen durchläuft?
    Einsamkeit muss ja nicht sein.
    Und beschreib mal den Zustand des "Kindes".

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  2. In Wirklichkeit wird damit aber wohl die unseriöse Betrachtungsweise der Welt - das ständige sarkastische müde Lächeln im
    Hintergrund gemeint sein. Das Leben ist nun immer mehr Spiel, es gibt keine Ängste mehr und man lebt sein Leben - wohl rational und immer noch auf der Suche - dahin

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