Kritik an Schopenhauers Verneinung des Willens zum Leben am Beispiel seiner Metaphysik der Geschlechtsliebe

Dieser Absatz von Schopenhauer behandelt die Geschlechtsliebe, und ich nehme ihn als Beispiel, Schopenhauers verkehrte Empfehlung, nämlich die Verneinung des Willens zum Leben, zu kritisieren.

[...]
Noch größer aber ist die Zahl Derer, welche die selbe Leidenschaft ins Irrenhaus bringt. Endlich hat jedes Jahr auch einen und den andern Fall von gemeinschaftlichem Selbstmord eines liebenden, aber durch äußere Umstände verhinderten Paares aufzuweisen; wobei mir inzwischen unerklärlich bleibt, wie Die, welche, gegenseitiger Liebe gewiß, im Genüsse dieser die höchste Säligkeit zu finden erwarten, nicht lieber durch die äußersten Schritte sich allen Verhältnissen entziehn und jedes Ungemach erdulden, als daß sie mit dem Leben ein Glück aufgeben, über welches hinaus ihnen kein größeres denkbar ist. [...] *link*

Können diese Worte von Schopenhauer kommen? als daß sie mit dem Leben ein Glück aufgeben? Er will mit diesen Worten auf seine weiteren Worte dieses Kapitels vorbereiten, in dem er die in der Geschlechtsliebe befangenen Partner als solche, die von der Natur einen Wahn eingeimpft bekommen haben, darstellt. Um seine Perspektive nun zu verstehen, muss man Wissen, das Glück in seiner Philosophie immer negativer Natur ist. Das soll bedeuten, das der Normalfall des Lebenden Unglück (Disharmonie, Schmerz, Leid oder Langeweile) ist, und es ihm nur für kurze Perioden, ja kurze Augenblicke möglich ist, durch Glück, sich dieser ständigen Agonie zu befreien. Die Agonie an sich wurzelt im Wille zum Leben, welcher ständig, durch seine Sucht, Neid und Gier Leid schaffen muss. Hierzu lese man *link2*, § 56.

Nun ist also das akzeptieren und ausleben des eingeimpften Wahnsinns der Natur, der sich Liebe nennt, das Bejahen des Willens zum Leben; da ich hier meinem Willen mithilfe kurzer Perioden des Glücks beistehe, und ihn sich in seinem blinden Drang entfalten lassen kann. Derjenige, der sich dem künstlerischem Abbild der Liebe, also der Poesie, oder dem Liebesdrama einzig hingibt, übt die Verneinung des Willens zum Leben aus, da dessen Willen nicht vom Motiv gesteuert wird, sondern durch ein Quietiv erstarrt. Dies ist für Schopenhauer die einzig mögliche Erlösung aus dem Leben.

Soweit dieser kleine Ausschnitt Schopenhauers System, in Betrachtung des hier zu Grunde liegendem Themas, dem ich nun meine Phantasmen gegenüberstelle.

Erwächst eine Neigung eines Menschen zur Leidenschaft, also zur nun nicht mehr kontrollierbaren Affektion der Gier, dann nimmt mich mein Wille in die Obhut der Natur, welche eine Vernunftslose (Abstraktionslose) direkte Handlungspflicht verkündet. Ob nun das Resultat dieser Handlung, also die eigentliche Essenz, das Wesen dieser Handlung, letztlich meinem blind wirkendem Willen zu etwas nichtigem, also erneutem Unglück, oder etwas wichtigem, dessen Beispiel ich sogleich erörtern werde, wird, ist eine Wertung unabhängig von der Bejahung und Verneinung, aber doch eine solche, die ich für die Bewertung des Willens zum Leben in Betracht ziehen muss.

Denn entsage ich diesem Willen pauschal und vorab, dann ist es die Resignation, die ich ausübe, ohne mir dem, vor dem ich da resigniere, überhaupt bewusst zu sein. Da die Fähigkeit zur Resignation, also das bewusste Verneinen des Willens nur aus der Vernunft kommen kann, das Wissen über das Wesen des Resultats der Willensakte, die ich bei dem einimpfen der Liebe tätige, jedoch der Verstand übernimmt, so liegt es in der gleichen Unmöglichkeit wie in denen der synthetischen Urteile a priori, hier die Stagnation des Willens zu Mystifizieren und gar zu Predigen.

Ich bin gewillt, Schopenhauer für die tierische und vegetabilische Natur recht zu geben, wenn er sagt, das es für diese Organismen Leid, also Disharmonie der Antrieb sei, um ihren Willen in Akte, also in Erscheinung, zu wandeln. Aber für den Organismus des der Vernunft, also der Abstraktion fähigen, müssen die Antriebe für die Wandlung des Willens in Akte nicht ein Quietiv sein, sondern es ist etwas möglich, was ich nun das positive Motiv nenne; eine Urform des Willens, das die absolute Befriedigung, also das angestrebte Quietiv bei weiterhin bestehender Wirkung der Affektionen, die zu Motiven verleiten, synthetisiert und somit etwas, das man den dionysischen Menschen nennen kann, erschafft.

Ein solcher lässt die Willenskraft nämlich nicht zum gefühlskalten, toten Quietiv erstarren, sondern lässt seine Willenskraft weiter in hitzige Akte wandeln. Das entscheidende dieses Organismus ist die Dividualität seines Charakters, das nun die Trennung, den Tanz vermag, die Welt des Willens, um in schopenhauerischer Sprache zu bleiben, mit der Welt der "platonischen Ideen" zu vereinen, und gleichsam in der Lage ist, Kausalitätsunabhängig zwischen diesen Welten hin und her zu springen. Es ist der Bejaher der Kunst, bei gleichzeitiger nicht-Verneinung des Willens zum Leben.

Um nun also ein Beispiel zu nennen, was es sein könnte, das den eingeimpften Wahn der Liebe als Resultat haben könnte - so sage ich, das wir hier die bisher einzig mögliche altruistische Verhaltensweise ohne Kalkulation, die eine Moral oder Sitte, oder Finanzsystem als Wurzel hat, hervorstechen sehen. Das die Enttäuschung bei nicht erreichter Geschlechtsbefriedigung trotz investierter Energie, also Willensendladung, dest so höher ausfällt, dest so mehr eine Person über sie reflektiert, zeigt uns, wie der Verstandssbezogene Mensch sich der Verneinung des Prinzips tendenziell eher verweigert; der zur Vernunft geneigt, sich jedoch erboster fühlt. Es ist seine Individualität, die ihm hier seitens der Natur in Abrede gestellt wird; er will nicht weiter der Diener seines Triebes sein. Die Geschlechtsliebe bietet aber dann, wenn man sie Berechnungslos, Vorurteilslos und Moralneutral sieht, die Möglichkeit, altruistische Handlungen aus dem Willen selbst heraus zu schaffen; nur das diese altruistischen Handlungen sich nicht auf das "Gemeinwohl" einer Gesellschaft oder Instanz beziehen, sondern auf das Wohl der eigenen Individualität, die in Synthese zu der des Partners gedacht wird.

Auf dem Weg zu dieser vollkommenen Bejahung seines Willens und der Äusserung seines Willens, nämlich seiner Triebe, nistet sich somit sein Herz, die Wonne seines Ja-sagens in einer Nische; diese Nische ist der Übergang von der Welt der Ideen, des Konzepts, des Abstrakten Ablaufs in die Welt der Vorstellung, der Objekte und dem realen ausüben seiner Triebe. Das es ein weiter, schwieriger und tanzwütiger Weg ist, auf dem sich ein solches Wesen etablieren kann, versuche ich alsbald darzustellen. Desweiteren werde ich auf oben kurz angesprochene Synthesis zweier Individualitäten zu einer, mithilfe der uns von Natur aus gegebenen Kraft der Liebe, die hier niemals mit Leidenschaft verwechselt werden darf, zwecks Lebensbefreiung, zurückkommen.

*link*: Arthur Schopenhauer, die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Kapitel 4, § 44
*link2*: Arthur Schopenhauer, die Welt als Wille und Vorstellung, Band 1, Kapitel 4, § 56

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