Das wesentliche an Schopenhauers Philosophie Teil 1

Betrachtet man Rückblickend das Leben Arthur Schopenhauers, und seine Werke, die ich grob in die beiden Kategorien seiner "Welt als Wille und Vorstellung" (im folgenden Wawuv) und seiner "Parerga und Paralipomena" teile, so stellt ich mir hier die Frage, welchen Einfluss seine metaphysischen Erkenntnisse in der heutigen Zeit des radikalen Konstruktivismus haben.

Schopenhauer hat in vielen philosophischen Disziplinen gewirkt, in der Ästhetik, in der Ethik - aber ich möchte hier bewusst nur sein metaphysisches Werk betrachten.

Zunächst begann Schopenhauer nicht bei Null, sondern erweiterte und veränderte das bisher auf dem Gebiet der Metaphysik dagewesene, nämlich die Kritiken von Immanuel Kant, welche wiederum ebenfalls auf den Errungenschaften der Zeit, angefangen vielleicht bei Platons "Metaphysik", basierten.

In meinen Augen viel zu wenig Beachtung wird Schopenhauers Vorraussetzung zu Wawuv, der Schrift "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde" (fortan SzG) gebührt.

Für eine jede Metaphysik ist es wichtig, sich die Frage zu stellen "Was kann ich wissen?". Kant begann in seiner Kritik der reinen Urteilskraft haarscharf zu analysieren, was der menschliche Geist wissen kann. Heraus kamen dabei sein gedankliches Konstrukt der Verstandeskategorien. Schopenhauer hingegen stellte sich eine ähnliche Frage, aber analysierte die Frage auf eine vollkommen andere Weise. Er suchte nicht in den Kuriositäten des menschlichen Geistes nach der Lösung, sondern versuchte denjenigen Punkt zu finden, an dem die Abstraktion aus dem anschaulich erkennbaren so präzise gemacht wird, das man von einer "Wahrheit" sprechen kann. Im SzG erforscht er 4 Arten der Wahrheit, die er logische, empirische, transzendentale und metalogische Wahrheit tauft. In diesem ersten Teil möchte ich diese "Wahrheiten" erläutern, und den Bezug auf den heutigen Stand des Konstruktivismus, bewerten.

Eine logische Wahrheit habe ich in der Mathematik. Eine solche Wahrheit hat vielleicht den höchsten Wahrheitsgrad, aber dafür den geringsten Bezug zum anschaulich erkennbaren. Es sind nämlich solche Wahrheiten, in denen ich mir erst ein logisches Konstrukt hinstelle. In einer Formel wie "1 + 1 = 2" behaupte ich, das es zunächst zwei gleiche Dinge gebe, die sich kombinieren, und trennen lassen - und das die Kombination zweier dieser Dinge eben 2 bedeutet. 2 bedeutet auch Trennbarkeit dieser beiden Dinge. Klassische Mathematik ist nichts weiteres, als die Abstraktion des Zählens (Anm: laut Schopenhauer ist in der Mathematik ebenfalls das gesamte Wesen der Zeit erkennbar*, ich bin hier skeptisch). Um einmal Kant zu Worten kommen zu lassen, so denke ich, das synthetische Urteile a priori in diesem Fall vollkommen möglich und legitim sind, denn hier wird der Regelsatz des Körpers, in dem die Regeln der Mathematik gelten, zunächst vom Menschen definiert - und Urteile leiten sich an der Erkenntnis dieses selbst geschaffenen Regelwerkes ab. Das ist eine schöne Sache, aber es wird niemals möglich sein, mit der logischen Wahrheit irgend eine Wahrheit im anschaulichen zu beweisen. Allenfalls können hier vermeintliche Wahrheiten ausgeschlossen werden - durch den Satz des Widerspruches, den uns die Logik gebracht hat. Aber konstruktive Wahrheiten können mithilfe der reinen Logik nicht erbracht werden.

Empirische Wahrheit ist immer a posteriori, und deswegen für Ethik gut geeignet, aber nicht für Metaphysik. Eine auf empirischer Wahrheit aufbauende Metaphysik wäre aus dem ähnlichen Grund zum Scheitern verurteilt, wie die Versuche der künstlichen Intelligenz scheitern. Ein lernender Organismus - also einer, der aus der Erfahrung Urteile zieht - bläht sich zu einem riesigen Wissensschatz auf, der aber nicht verarbeitet werden kann. Eine Sammlung von Abstraktionen, die aber in der falschen Sprache geschrieben sind, und somit den Bezug zum Original - im Fall der künstlichen Intelligenz die menschliche Sprache - verloren haben. Oder im metaphysischen Fall betrachtet, Wahrheiten, die den Bezug zum anschaulich Erkannten, verloren haben. Hier dient die empirische Wahrheit weder zum Beweisen, noch zum Widerlegen von Urteilen; sie ist vielmehr nur ein Spiegel des in der Welt passierenden, der uns Einzelfälle demonstriert.

Schopenhauers transzendentale Wahrheit unterscheidet sich von der empirischen Wahrheit nur da drin, das er einer empirischen Wahrheit, die sich mit allen uns erdenkbaren Formen der Erkenntnis deckt, Wahrheit zuspricht. Beispiele aus SzG wären "Zwei gerade Linien schließen keinen Raum ein. — Nichts geschieht ohne Ursache.". Ich verstehe nicht, warum Schopenhauer hier nicht sieht, das bei diesen synthetischen Urteilen a priori, wie bei einem jeden solchen Urteil, der Bezug zum anschaulich Erkannten fehlt - so das, für unsere Betrachtung, die transzendentale Wahrheit nichts weiter als ein gescheiterter Versuch der Legitimierung der empirischen Wahrheit ist.

Zuletzt behauptet er die Erkenntnis einer metalogischen Wahrheit, also eine solche, in der alle der vier folgenden Punkte erfüllt sind.

1) Ein Subjekt ist gleich der Summe seiner Prädikate, oder a = a.
2) Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden, oder a = — a = 0. (Anm. mit 0 meint er hier wohl falsch)
3) Von jeden zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten muß jedem Subjekt eines zukommen.
4) Die Wahrheit ist die Beziehung eines Urteils auf etwas außer ihm, als seinen zureichenden Grund.

Bis auf Punkt 4, sind alle hier genannten Punkte nur Verfeinerungen der logischen Wahrheit. Punkt 4 wiederrum erörtert die Problematik des zureichenden Grundes erneut - und definiert nur eine Bedingung einer Wahrheit, gibt aber keinen Hinweis, wie diese zu erreichen sei.

In Bezug auf die Fragestellung, welche Rolle SzG heute, in Betracht der Möglichkeit absoluter Wahrheit, spielt, sehen wir uns somit enttäuscht. Schopenhauer hat die Problematik sehr schön formuliert, scheitert aber, ähnlich wie Kant, daran, seine angeblich gegebene Lösung zu dem Problem wissenschaftlich beweisen zu können.

Der radikale Konstruktivismus nun nimmt diese Erkenntnis, das bisher alle philosophischen Systeme diesen Beweis nicht bringen konnten, als hypothetische Wahrheit, und akzeptieren nun, das ihre Systeme auf einer schwammigen, brüchigen Wurzel gebaut sind. Auch mir persönlich scheint es momentan so, als wäre Metaphysik noch immer nichts weiteres, als ein Sandkasten, in dem der Mensch Burgen baut, und schaut, wie viel Sturm die Burg aushält.

Im nächsten Teil werde ich mich mit Schopenhauers Definition des Wesens von Raum und Zeit, allerdings nur im ersten Band von Wavuw (weil dies der einfachere, und leichter zu widerlegende - weil frühere Teil von Schopenhauer ist), beschäftigen.

* Welt als Wille und Vorstellung, Kapitel 1 "Das Objekt der Erfahrung und der Wissenschaft", § 4

3 Kommentare:

  1. Ich bin mir im Klaren, dass dieser Artikel vor einigen Jahren verfasst wurde, ich will diesen Post also als Ergänzung für andere Menschen schreiben, so Sie als Autor dies nicht mehr lesen sollten:
    Tatsächlich handelt es sich in den von Ihnen genannten Fällen an keiner Stelle um synthetische Wahrheiten a priori, vielmehr geht es um analytische Fälle, die natürlich a priori, aber deren Kennzeichnung als synthethisch nichts anderes als ein übernommener Fehler Kantens sind. Schopenhauer hingegen erhebt sehr oft den Anspruch gerade aus der unmittelbaren Anschauung - d.i. notwendig analytisch - seine Gedanken zu beziehen.
    Dass Schopenhauer aus der Unmittelbarkeit Beweise zu geben sucht, sieht man besonders schön an Paragraph 21 SzG, in welchem er den Satz vom Grunde - oder zumindest die Funktion der Räumlichkeit als Notwendigkeit einer Verstandesoperation - zu beweisen sich bemüht, indem er nämlich zunächst feststellt, dass nichts in den Sinnen ist, was nicht zuvor im Verstande war, außer dem Verstande selbst - eigentlich ein Erbe von Leibnitz und damit aufbauend auf den Erkenntnissen von John Locke, einem Empiristen.

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  2. Um aber noch einmal auf Ihr Bsp. von der Linie, welche keinen Raum einschließt, zurückzukommen: Dies ist bereits definitionsgemäß, d.h. mathematisch, notwendig: weil, was ist eine Linie? Die Summe aller Punkte, welche sich in dieser anfinden. [Wir merken, dass der Begriff Linie als Fassung zum Verständnis dieses Phänomens unausgesprochen vorausgesetzt wird.] Und weiter: Was sind Punkte? Unendlich reduzierbare Teilchen, die keinen Raum einnehmen, sondern sich im selbigen finden, aber immer weiter in ihrer Lage reduziert und konkretisiert werden können. Somit also die Linie per se als Summe der Teile für sich Raum einnimmt, da eine Linie nur vom Raum umschlossen gedacht werden kann, in welchem sie sich auch zu finden hat, ganz gleich ob zwei-drei- oder andersweitig dimensional gestaltet. Betrachtet man jedoch zwei Linien in Relation zueinander, also nicht für sich, so bedürfte es eines gesetzten Bezuges, einer Festlegung und das Denken weiterer Beschränkungen um z.B. zwei Parallelen als gemeinsam Raumfassend zu denken. Schneiden sich nun aber diese beiden Linien, so nehmen zwar diese Punkte als Teile eine gleiche Stelle ein, jedoch nicht die Linien, die nämlich als ein gänzlich anderes an zuvorderster Stelle definiert wurden, daher die ursprünglich betrachteten Linien auch unter keinen Umständen als raumfassend betrachtet werden können. Da wir nun aber - und hier ist augenscheinlich bei Schopenhauer der Fehler! - auch immer weiter in die Tiefe, in das Mikroskopische gehen können, ist es uns möglich zu sagen, dass sich zwei weitere, ungleich kleinere Linien anfinden werden, die sich aber dennoch miteinander überschneiden können. Und hier begehen wir bereits erneut den Fehler, da wir die Kette der Mikroskopierung willkürlich, also aus keinem logischen Grunde, abgebrochen haben: wir können weitergehen und die Kette ginge ad finitum so weiter: wir finden immer wieder neue Punkte, die sich für sich überschneiden, jedoch nicht als Linien, daher aber ist aus der Anschauung und auf Basis simpelster Axiome das anscheinend Paradoxe bewiesen: wir gehen immer tiefer in das Phänomen hinein und kommen nicht zum Ende. Es kommt in den Fällen darauf an, wie man es sieht: Schopenhauer hat recht und auch unrecht. Ganz je nach dem wie man es sieht. Wenn wir nun aber stets unsere Punktdefinition betrachten und an Stelle des Begriffes Linie stets die selbige setzen, so merken wir, dass alles dies vorhersehbar war: wir also auch aus begrifflicher Hinsicht auf dieses Ergebnis kommen müssten, sich also a priori und analytisch alles dies wunderbar herleiten lässt, es sich folglich unter keinerlei Umständen jemals um eine synthetische Folgerung gehandelt haben kann!
    Zudem muss ich noch eine simple Kritik geben: Metalogik - was ist das? Doch nichts anderes als die Basis, die Grundlage der Logik, also eines solchen Mittels, welches verschieden von Schopenhauers Analyse des Satzes vom Grunde ist, jedoch eben dieser als das Unbedingte, das Unhinterfragbare gesetzt ist: der für uns also unmöglich zu leugnende Angelpunkt unserer Welt ist, die da wäre: Wille und Vorstellung. Da nun aber - und das ist das Klevere an Schopenhauers Metaphysik - jede Erkenntnis auf das Wesen der Welt in besagter, solange sie denn Vorstellung ist, ausgeschlossen ist und wir keinen festen Punkt erkennen können, müssen wir annehmen, dass das Ding an sich - welches die Wahrheit sein soll! - von der Welt als Vorstellung verschieden ist. Dieses andere aber, welches nicht außerhalb von uns ist, sondern in uns: das ist der Wille. Das Selbstbewusstsein nämlich erkennt Schopenhauer als den Willen, denn selbiges vermögen wir - so Schopenhauer in seiner Preisschrift über die Freiheit des Willens - einzig als ein Wollendes uns gewahr werden zu lassen.

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  3. Dass jedoch dieses von uns Verschiedene notwendig, unhinterfragbar, nicht anders denkbare, das Ding an sich, folglich der Wille ist, ist aber keine feste Sache: sie ist ein Ausweichen, geboren aus unsere Unwissenheit und Begrenztheit unserer Verstandesoperationen, die uns keine andere Wahl lässt als nur das zu denken, was sich auch denken lässt, daher wir das Undenkbare auch verwerfen müssen. Denn es ist gerade - in abstruser Form - so wie Wittgenstein sagt, dass wir um die Grenzen des Denkens zu denken, wir gerade die beiden Eckpunkte: Denkbares und Undenkbares denken müssen. Da letzteres aber nicht menschenmöglich ist, so wir nicht Absurditäten als Konklusion erhalten wollen, müssen wir uns bei ersterem beschränken und dies als die Grenze betrachten, die wir erkannten, ehe wir sie betraten, gleichsam einer Landesgrenze, die wir am Horizont erblicken und die uns am Weitergehen hindert. Der Gedanke Wittgensteins, den ich soeben äußerte, findet sich übrigens in seiner Samenform bei Schopenhauer auf S. 592 der Reclam Ausgabe seines Hauptwerkes: Die Welt als Wille und Vorstellung - erster Band: "Metaphysik ist Wissenschaft von dem, was jenseits der Möglichkeit aller Erfahrung liegt" - ein Widerspruch in der alten Metaphysik und damit grundlegend entscheidend.
    Tschuldigen Sie die drei Posts, es ging nicht in einen hinein.

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