Die Entwicklung des menschlichen Geschlechtes ist immer durch eine gemeinsame, statische Form gekennzeichnet. Diese Form spaltet die einzelnen Individuen stets in zwei sich völlig unterscheidende Typen. Zunächst sehe ich sich überall, sowohl in der Fiktion, wie auch in der völlig realen Politik, eine klare Struktur herausbilden, die eine Palette an Werten und Maßstäben setzt. Diese Palette wird dann durch ein einimpfen eben dieser Werte instinktiv als Maxime für die lebenden Menschen gemacht. Dies ist das Imperium, das seine Werte publiziert. Angefangen mit dem in Europa vielleicht ersten, dem römischen Imperium, das die
antiken Werte im laufe weniger Jahrhunderte zu
christlichen Werten umgewandelt hatte, über die Renaissance, die diese Wandlung rückgängig machen wollte, bis zu brandaktuellen Staatstyranneien wie vor kurzem dem deutschen Reich, und dem jetztigen Amerika, findet sich hier keine nennenswerte Zeitphase, in denen man in den kulturellen Ballungsgebieten dieser Erde ein Abweichen dieses Schemas finden kann.
Ist nun der Gegenpol dieser Maschinerie, der Rebell, Kulturlos zu nennen? Oder anders gefragt, benötigt eine Kultur immer den Tyrann, um sich zu etablieren? Kultur eint; aber ist diese Einigung durch Imprägnierung der Präferenzen eines Volkes künstlich hervorgerufen?
Da ich bisher immer nur den Standpunkt des Rebells annehmen konnte, da mein Charakter mir keine andere Entwicklungsmöglichkeit bietet, ist es für mich schwierig, auf diese Fragen zu antworten. Das meine Kulturlosigkeit aber nicht zwangsläufig auf das Fehlen eines Imperativs einer höheren Ordnung zurückzuführen ist, denke ich allerdings schon. Und deshalb erlaube ich mir eine Meinung zu dieser Fragestellung.
Der Orientierungslose Mensch kann sich sowohl in einem Labyrinth ohne Wegweiser, wie in einem Labyrinth mit tausenden sich widersprechenden Wegweisern verlaufen. Dem für den Imperativ empfänglichen Charaktertyp, der also tausenden Idealen auf seinem Lebensweg begegnet - sich aber keinem davon unterwirft - endet in einer gleichen charakterlichen Disharmonie, wie der überhaupt nicht für Imperative empfängliche Typ. Die Lösung aus diesem Dilemma bildet die
elitäre Orientierung, sei es eine
dogmatische Religion oder eine
radikale Politik. In solchen Kultursphären kann ein Individuum eine sehr lange Zeit seines Lebens, wenn nicht sogar das komplette Leben, verbringen.
Es ist nun ein strategischer Zug des Imperiums, sich sämtliche geistige und theologische Strömungen anzueignen. Zusätzlich sind die Methoden, den geistigen Stand des Volkes unauffällig künstlich gering zu halten, mittlerweile so fortgeschritten und erfolgreich, das die meisten Bürger unmündig - das heisst komplett ohne Wegweiser - ihren Weg durchs Leben nehmen.
In einem Rebell steckt immer ein Keim, der sich entpuppen möchte, und an der Umgebung scheitert. So widmet ein solcher sein Leben lang dem Kampf gegen das Imperium, wie in vielen fiktiven Szenen nachgebildet. Ein passiver Rebell ist hier also eben
nicht der anhänger einer
radikalen Politik oder einer
elitären Theologie, sondern ein vollkommen neuer Ansatz, der seine Ideale und Werte komplett aus seinem Keim schöpft. Das diese Werte sein Eigentum bleiben, ist der Nebeneffekt, der einen solchen Typ vereinsamen - passiv - lässt. Das klassische Beispiel des Einsiedlers.
Der
aktive Rebell wird kaum darum herumkommen, sich einer elitären Organisation anzuschliessen; denn dieser kann nicht ohne die Akzeptanz des Umfeldes sein.
Um mit dieser Erklärung meiner Perspektive nun zurück zur Fragestellung zu kommen, so schätze ich, das einerseits das aufkommen des
passiven Rebellen in einer
nicht imperativen Gesellschaft
seltener wäre,die aktiven Rebellen jedoch ebenfalls Rückgänge verzeichnen müssten. Der Knackpunkt ist, das die Komplexität der Werte und Ideale des Imperiums, trotz der künstlichen Vereinfachung auf wenige hohe Werte, tatsächlich unheimlich hoch ist, so das kaum noch alternative Weltbilder oder gar Kulturströmungen hervorgebracht werden. Diejenigen, die es tun, und inmitten einer etablierten Gesellschaft ignorant alle Tabus brechen, sind niemals zugleich Idole; sie gelten niemals als Hirt für die Herde, denn die Entwicklung ihrer Persönlichkeit
verachtet den Imperativ, ja setzte es gar voraus,
niemals das Opfer eines Imperativs gewesen zu sein.
Solange nun also die freie Entwicklung des persönlichen Charakters durch die wahnsinnigen Freiheitsberaubungen, pardon, ich meine Gesetzgebungen, nicht gehemmt wird, können meinetwegen weiterhin zehntausende Kinder täglich verhungern, während in anderen Ländern 15% des Volkes 85% der Güter verkonsumiert. Für den Einflussbereich eines individuellen Charakters ist es irrellevant, was tatsächlich in der Welt um ihn herum passiert; nur darf er dann weder
aktiver noch
passiver Rebell sein. Wie sollte man einen solchen Menschen benennen?