Die Verneinung des Willens zum Leben ist ein Seinsbruch

Ich möchte in diesem Essay erklären, warum ich der Meinung bin, dass Schopenhauers Konzeption des menschlichen Willens als intelligible Triebkraft eine passende Teilrolle in der philosophischen Strömung des Existenzialismus hat. Die Kernaussagen der Existenzphilosophie nehmen eine kompatible und erläuternde Stelle neben der Frage nach der besten Interpretation von Psychoanalysen, die, aufgrund ihrem intelligiblen Inhalt, meist höchst spekulative und experimentelle Lösungen liefern.

In der Entwicklungzeit von primitiver Willensspekulation zur wissenschaftlichen Disziplin der Psychoanalyse, so gilt es, gibt es einen entscheidenden Zwischenschritt, nämlich das Hauptwerk von Eduard von Hartmann, "Philosophie des Unbewußten". Zwar ist in dieser Schrift von einer völlig ungehaltenen und überholten Synthese von intelligiblen Willen und hegelscher Logik die Rede, die das Werk philosophisch wertlos macht, aber chronologisch stellt es ein angeblich wichtiges Überbrückungsglied dar, dass die Psychoanalyse hat wachsen lassen können.

In dem Vorwort zur zehnten Auflage des Werkes distanziert sich Hartmann radikal von Schopenhauers "vertretenen subjectiven Idealismus in der Erkenntnistheorie, seines abstracten Monismus in der Metaphysik, seines abstracten Idealismus in der Aesthetik, seiner ungeschichtlichen Weltanschauung, seiner schwankenden und widerspruchsvollen Stellungnahme zur Teleologie, seiner Lehren vom intelligiblen Charakter, von der transcendentalen Freiheit und von der Unveränderlichkeit des Charakters, seiner exoterischen Mitleidsmoral und seiner esoterischen Moral der individuellen Willensverneinung durch Quietismus und Askese, seiner einseitigen und ausschliesslichen Bestimmung des Weltwesens als Wille, und seiner Bevorzugung des quietistisch-asketischen Inderthums und Urchristenthums vor dem weltthätigen Protestantismus.". Zwar kritisiert und beschimpft er hier die systemischen, undynamischen Ansätze der Welt als Wille und Vorstellung, aber er zeigt hier deutlich, dass das von ihm geschriebene Werk sich mehr von den prä-psychoanalytischen philosophischen experimenten Schopenhauers distanziert, als diese gefördert hat.

Durch den fragwürdigen sensationellen Erfolg des Werkes, dass zwar Schopenhauers Philosophie in streng verzerrter Form popularisierte, danach jedoch schnell wieder in Vergessenheit geriet, scheint die Naturwissenschaft "Psychoanalyse" also nicht geboren worden zu sein.

Betrachtet man aus rein populärer Perspektive zusätzlich die immense und wichtige wissenschaftlich/philosophische Arbeit Freud´s, der zwar beide Philosophen gekannt hat, aber stets betonte, nicht von ihnen abgeschrieben zu haben, so ist die psychoanalytische Disziplin in ihren eigenen Rahmenbedingungen vollendet. Die gemeinsamen, unabhängigen Entdeckungen beider Philosophen haben eine erstaunliche Treffsicherheit. Aber erst eine interdisziplinäre Betrachtungsweise kann nun zu neuen Erkenntnissen führen.

In einem ontologischem System ist die Frage nach den Beziehungen des Subjekts (hier nach schopenhauerischer Definition: "Das Subjekt ist das, was alles erkennt und von keinem erkannt wird") zum Ego (als Sammelbegriff für alles psychologisch-persönliche, der Erinnerung und dem damit verbundenen) ein Fundamentalproblem. In der französischen Existenzialismusbewegung wird das Bewusstsein mit dem Subjekt gleichgesetzt, und die Beziehung des Bewusstseins zum Ego untersucht. Im Unterschied zu den monistischen primitiven Vorphilosophien wird die Möglichkeit des Bewusstseins aber implizit immer zwingend als Bruch mit dem Seienden erklärt, während früher noch die Rede von einem Sein, auf dessen Basis sich die Subjekte/Bewusstseine tummeln, war.

Dieser Bruch stellt eine wichtige konzeptuale Veränderung dar, da die logischen Gesetze der einen Seinsregion nicht für die andere gelten müssen, und viele als paradox oder unerklärlich geltenden phänomenalen Betrachtungen der Frühphilosophie dadurch erklärt werden können.

Das Gefühl des eigenen Willens, das jeder Mensch unmittelbar in seiner Beziehung zur Welt erfährt, ist die Triebfeder jeder bewussten und unbewussten Aktion. Das doppelseitige zusammentreffen zweier egoistischer Subjekte, also zweier Willenszentren, lässt jede Konfrontation aufgrund dem Bestreben, zu seinen eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen hinzuarbeiten, zu einem Konflikt werden. Herrschafts,- und Machtgebilde spiegeln diese ontologisch/metaphysische Analyse konkret anschaulich wieder.

Während Nietzsche z.B. dieses ontologische Schauspiel als gut pries, also den Willen, der bei ihm der Wille zur Macht hiess, "bejahte", sah Schopenhauer, wie auch Freud, das gesamte Phänomen des menschlichen, tierischen, pflanzlichen und gar mineralogischen Lebens als Pessimistisches, Sinnloses Treiben.

Durch eine von Schopenhauer im dritten Teil seines Hauptwerkes beschriebene Methode der Introspektion ist es dem Subjekt möglich, aus dem Principio Individuationis zu entkommen, und ein Leben ausserhalb dieser determinierenden Strukturen zu ermöglichen. Dieser Gedanke Schopenhauers deckt sich mit der Analyse existenzphilosophischer Bemühungen, die herausfand, dass jene durch den Intellekt hervorgerufene Seinsregion jedes Subjekts, das Für-Sich, ein potenzielles Verneinen des Willens implizit in sich trägt. In dieser Terminologie ist es die Freiheit des Menschens, die ein jedes Subjekt per Seinsweise ist.

Ich hoffe, gezeigt haben zu können, dass Schopenhauers erkenntnistheoretischer Einfluss nicht nur in der Psychoanalyse, sondern auch in der modernen Philosophie zu finden ist. Seine Entlarvung des Intellekts als Determiniertes, und dem, was dem Menschen als Willen unmittelbar zugänglich ist, als Determinierendes ist eine wichtige Basis für moderne philosophische Systeme, wie auch für psychoanalytische Wissenschaften.

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