Reisebericht 9 - Rampont, Reims, Château-Thierry, Meaux

Zu Beginn des neuen Reiseberichts kündige ich einen Strukturwandel an. Durch die Kritik mehrerer Leute motiviert, möchte ich den Fokus der Berichte nicht auf den chronologischen Ablauf der Tätigkeiten und Geschehnisse, sowie die absolvierten Kilometer legen, sondern etwas mehr auf die Menschen, denen wir begegnen, den Kulturellen Unterschieden, die sich zeigen, die Umgebung, die wir besuchen und die Gedanken, die wir uns dem allem gegenüber machen, legen. Die einzigartige Zeit, die wir beide hier während unser Reise erleben, sollte dementsprechend detailliert und präzise dokumentiert werden, da sie uns nie wieder kommt und stets in Erinnerung bleibt.

In Frankreich hatten wir bisher zwei engere Kontakte geknüpft. Zunächst die in RB8 erwähnte Nanty, und dann die Familie Christians. Als wir nämlich nach der ersten Nacht bei ihnen gerade aufsatteln wollten, lud er uns zu seiner Doppelgeburtstagsfeier ein. Am Freitag wurde er 50, und am folgenden Samstag seine Frau ebenfalls. Diesen erstaunlichen Zufall, das die beiden Geburtstage sogar auf einen Samstag fallen, nutzte er aus, um eine riesige Party für alle Verwandte und Bekannte in einer gemieteten Halle zu veranstalten:




Komplett mit Buffet, DJ und Unmengen an Alkohol, sowohl in Bier, wie auch in edler Champagner-Form, schenkte er hier massenhaft an alle aus. Vielleicht liegt das auch daran, das Champagner hier in der Champagne nicht einen solch hohen Wert hat, wie bei uns. Bis tief in die Nacht hinein haben die Leute hier gesoffen, und man kann daraus schliessen, wie der Partyverlauf sich gestaltete.

Trotz der unheimlichen Sprachbarriere wurden wir nicht als fremde Gäste, sondern bereits als Mitglied der ganzen Familie betrachtet. Nur drei Leute sprachen ein akzeptables, verständliches Englisch, bei den anderen mussten wir uns aufs Dolmetschen und auf Gestik und Mimik verlassen.

Französisch ist uns dermaßen ungewohnt, und hat eine so ungewohnte Phonetik für uns, das es wohl noch Monate dauert, bis ich den Menschen hier auch nur zuhören kann. Bis auf die absoluten Grundlagen, wie das Zählen, Floskeln und dem bestellen von Baguettes natürlich sind wir völlig hilflos bei der Kommunikation mit Franzosen. Zwar sind wir sehr lernwillig, und haben stehts unser Wörterbuch in der Hand, aber das erlernen dieser neuen Sprache stellt sich als schwieriger heraus, als geplant. Für unsere Überwinterung in Paris werden wir uns wohl ein Vokabular von 1000 bis 1500 Wörtern aneignen, aber in diesen Monaten können wir uns hier leider nicht völlig integrieren. Ausserdem haben wir das Problem, das wir, sobald wir gerade Französisch gelernt haben, ja schon weiter nach Spanien fahren - und zwei Sprachen auf einmal zu lernen, ist unmöglich zu bewerkstelligen. Der relativ kurze, vielleicht zweimonatige Aufenthalt in Spanien rechtfertigt es nicht, sich viel Mühe zu geben, aber da wir auf der Reise nach Italien nochmal mehrere Monate durch Frankreich durchkommen, ist es Pflicht, sich bereits jetzt ein angemessenes Französisch anzueignen, Spanisch aber zu vernachlässigen.

Nach unserem mehrtätigen Aufenthalt bei Christian machten wir uns also auf dem Weg in Richtung Reims. Unsere Schätzung, in welcher Zeit wir die 102 Kilometer bewältigen wollen, belief sich auf 2 Tage. Da uns aber regnerisches Wetter daran hinderte, die kaum hügelige Strecke mit voller Kraft zu befahren, kamen wir am vierten Tag morgens früh in Reims an. Zwischen Verdun und Reims liegen über 100 Kilometer Landstraße, mit winzigen Dörfern zwischendurch, so das wir froh waren, genug Proviant dabei gehabt zu haben.

Wir besichtigten auch hier die Kathedrale der Stadt:




Vor dem Touristenpunkt sprach uns, selbstverständlich auf Französisch, Peter an. Schnell stellte sich heraus, das er Deutsch spricht, und ein Tourist aus Duisburg ist. Im Laufe des Gespräches war er eben so fasziniert von unserer Reise, wie wir von seinen Erzählungen, denn auch er ist ein Vagabund. Allerdings bleibt er dabei Sozialkompatibel, arbeitet konform und führt seine Expeditionen nur innerhalb seines Urlaubs durch.
Trotzdem hat er, auch dank seinen 38 Jahren, einiges an Erfahrung ausgestrahlt, und uns Tips für unseren weiteren Reiseverlauf gegeben. Er prophezeihte uns eine sehr einfache Reise, sobald wir erst an der Atlantikküste angekommen sind. Ausserdem ist das Klima, das wir in Spanien und Südfrankreich bald erleben so warm, das wir davon ausgehen können, das der uns bevorstehende Winter in Paris der letzte wird, den wir draussen verbringen.

Wir tauschten unsere Kontaktdaten, und sofern sein Wunsch, sich auch bald unabhängig zu machen, mit dem Fahrrad nach Kapstadt zu fahren, und diese Reise auf einem eigenen Blog zu dokumentieren durchgesetzt wird, wird er hier natürlich verlinkt.


An diesem perfektem Schlafplatz und Fahrradlagerplatz konnten wir Reims völlig ungestört besichtigen:



Auch der Skatepark, der nichts besonderes, bis auf diese Beton Corner-Quarter zu bieten hatte, war nicht weit von hier:



Wer genau hinsieht sieht hier 4 gelbe Rollen. Das sind die, die ich zuvor in Verdun gefunden habe. Mein letzter Versuch, klassisch Street zu fahren, ist nun gescheitert, nachdem ich gemerkt habe, wie extrem anstrengend und unspaßig auch nur ein Ollie Sechser geworden ist, hier in Sainte Menehould:


Ich freue mich, meine 64mm Rollen, Riser-Pads und Rails wieder montiert zu haben. Beim nächsten Brett gibt es, trotz meinem Noseslide-Faible, dann auch selbstgebastelte Nose und Tailsaver. Der Freestyler in Köln hat es mir präzise erklärt.

Reims ist die bisher größte Stadt, die wir in Frankreich besuchen durften. Bis Paris wird das auch so bleiben, denn bis auf Château-Thierry folgt keine größere nennenswerte Stadt mehr.

Trotz dem Genuss nahezu vollkommener gesellschaftlicher Unabhängigkeit, gepaart mit einem völligen Freiheitsgefühl, das mir einen verhältnismäßig reinen Geist und ein sauberes Gewissen gibt, kann ich zum aktuellem Punkt der Reise noch nicht davon sprechen, das ich das erreicht hätte, was ich mir wünsche. Denn obwohl ich von allen Pflichten, der Sinnlosigkeit und Müßigkeit eines geregelten Arbeitslebens, der Öde der Sesshaftigkeit und der Routine erlöst bin,
ist mir die nicht zu erreichende finanzielle Unabhängigkeit noch ein Dorn im Auge. Es ist für mich kein moralisches Problem, zu betteln, sondern es ist mir ein Problem, das ich das gebräuchliche, barbarische kapitalistische Finanzsystem weiterhin nötig habe. Die Unverständlichkeit der Menschen zwingt mich dazu, an deren Systematik teilzunehmen; und
tuhe ich dies nicht, so würde ich kriminell werden und an ihren Justizsystem zerbrechen. Es ist mir also höchst unangenehm, aber ich kann das nun folgende Thema aus Gründen der Aufrichtigkeit nicht aus meinem Leben entfernen:

Das Abheben von Geld kostet hier in ganz Frankreich 3,50€ Gebühren pro Vorgang; unabhängig von der Menge, die abgehoben wird. Also werde ich dann ab Paris mit 300€-Schüben arbeiten. Mit den nur 7,39€, die wir besessen haben, als wir in Reims ankamen, versuchen wir nun experimentell, bis Paris durchzukommen. Das bedeutet, das ich gezwungen bin, morgen Philipp auszupacken, und zu testen, wie gut man hier in Reims verdient. Einen Musikmenschen hab ich hier bisher noch nicht gesehen, die Konkurrenz ist also schwach, und vielleicht bekomm ich einen Seltenheitsbonus. Mit mindestens 20€ sollten wir Reims dann bald verlassen, da die letzten 140 Kilometer bis Paris keine größeren Städte mehr hervorbringen werden. Der letzte 100€-Schub, den wir nutzen,
reichte gerade mal etwas über 3 Wochen; obwohl man alle Ausgaben für 2 Personen rechnen muss, leben wir wie die Könige, und werden unsere Ausgaben definitiv reduzieren.

In der kleinen Stadt Dormans hatten wir an einer Sitzbank, die eine funktionierende Steckdose zu bieten hatte, gerastet und den Strompiraten gespielt. Als sich Regenwolken und Wind bemerkbar machten, packten wir schnell unsere Sachen zusammen. Auf der anderen Strassenseite fuhr ein Skateboardfahrer, den ich schnell mittels dem französischen "Excuse moi" ansprach. Der Dormans´er Skatepark ist größer und besser als in Reims:


Auch die Brücke hier schützte uns vor dem dann eintretenden Regen. Die ganze Nacht regnete es durch, und als sich am nächsten Morgen die Sonne zeigte, entschieden wir uns trotzdem, einen weiteren Tag hier zu verbringen. Schliesslich haben wir hier Strom, Aldi und überall kostenloses Trinkwasser.

Hier ist der versprochene, von Elli angemalte Flo unter der oben genannten Brücke:



Später als hier kann man einen Boneless nicht abspringen; geschehen in Dormans mit meinem auf einer Landstraße gefundenen neuen Alte-Oma Hawaii Hemd:


Château-Thierry ist nun nur noch 23 Kilometer entfernt; und von dort sind es dann noch 90 Kilometer bis Paris.

Frankreich generell hat in dem gesamten Nordöstlichem Gebiet, das wir durchfahren sind, eine unheimliche Fülle an Geschichtsbewussten Symbolen zu bieten. So gibt es an jeder Landstraße eine Unmenge von Deutschen, Französischen, Italienischen oder Britischen Soldatenfriedhöfen, die alle fast ausschliesslich an den ersten Weltkrieg erinnern. Während man dem deutschen Bild kaum noch eine Erinnerungswilligkeit an diese Zeit gewinnen kann, wird man hier an jeder Ecke an die politischen Reibereien zwischen Frankreich und Deutschland in jüngster Vergangenheit erinnert.

Weiterhin sind die Menschen hier bei weitem Modebewusster - noch Modebewusster! -, als es sich in Deutschland darbietet. Auf Äusserlichkeite wird sehr viel Wert gelegt, selbst in den kleinen Städten. Die riesigen Kathedralen, die wir in Thionville, Metz, Verdun und Reims antrafen, sowie die fast ausnahmslos in jedem Dorf vorhandene Kirche lassen uns ein sehr religiöses Grundgefühl der Franzosen ahnen. Leider kann ich mit der christlichen Symbolik und Geschichte nichts
anfangen, Elli profitiert da weitaus mehr von.

Da Elli am anderen Ufer in La Ferté-sous Jouarre an der Marne einen Skatepark gesichtet hatte,
fand ich am anliegendem Campingplatz neue Einlagen für meine Schuhe, sowie einen nagelneuen, weissen Beutel für meinen lilanen Decathlon-Schlafsack. So konnte ich mein Reisedesign auf Gerd abermals perfektionieren:


Der grüne Schlafsack wurde aufgrund von Gestank und Unnützigkeit entfernt. Dank dem nun neu geschaffenem Stauraum
kann ich mit dieser neuen, sportlicheren Konstruktion fahren.

Eine Sequenz eines meiner letzten, wenn nicht des letzten Noseslides in oben angesprochenem Skatepark:


Johannes ist ein altes Skateboard, schon ohne Grip und ohne Pop. Da er aber nicht angebrochen ist, wird er mich durch den Winter in Paris begleiten.


Hier sieht man mich, wie ich unser Zelt staubsauge. Das mache ich jeden Morgen, denn Sauberkeit muß sein:



Auf diesem Bild sieht man Laila beim Nuß knacken. Die kleine Kruste auf der Nase ist mittlerweile schon verheilt:



10 Kilometer vor Meaux hatten wir uns in Saint Jean Le Deux Jumeaux mithilfe einer
Brücke vom eintretenden Regen retten können, um dann am immer noch regnerischen Folgetag die Stadt Meaux zu besichtigen. Wir fanden einen prima Platz, um die Räder zu verstecken, bummelten durchs Zentrum, und haben gemerkt, das das Internet hier kostenlos ist. So können wir hier per WLAN diesen Reisebericht hochladen. Ins Zentrum von Paris sind es nun nur noch 40 Kilometer, und wir werden, abhängig vom Wetter, dann bald weiterfahren.

Meaux ist soweit eine ausserordentlich schöne Stadt, der hohe Ausländeranteil stört das angenehme Ambiente dieser direkt an der Marne gelegenen Stadt kaum. Die erste Mini-Rampe ist schon gesichtet, und sofern morgen die Sonne scheint, wird sie von mir getestet.

Abhängig vom Wetter und unserer Laune geht es dann in den nächsten Tagen an die Mission, sich die Riesenmetropole Paris intensiv anzuschauen. Es gibt hier mit Sicherheit viel zu sehen, und da wir planen, bis Februar hier zu bleiben, testen wir das Leben auf der Straße
in Paris. Innerhalb dieses Zeitraums wird es dann wahrscheinlich zwei Reiseberichte von
Paris geben; Teil eins und Teil zwei. Im Frühling geht es dann weiter nach Orléans weiter.

Unsere original geplante Reiseroute wurde damit mehrmals stark verändert. Ich werde dann bald die tatsächlich gefahrene Tour verschriftlichen.

Unser Versuch, mit dem Geld durchzukommen, scheiterte übrigens aufgrund von Faulheit und der
Zahlungsunwilligkeit der Touristen und Passanten in Reims, so das wir unseren ersten Schub schon -
glücklicherweise erfolgreich - abgeholt hatten.

Den ersten Teil der Reisebilder gibt es Hier zu sehen.

5 Kommentare:

  1. der erste park..ich meine den corner cave da oder was das sein soll ist ja voll geil das dingen man!!!! soo gut ey...die noseslide bild-sequenz hat die elli auch sehr gut hinbekommen !! : ) rckhausen rockt!

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  2. Ich find's echt super, dass Du Deine Weltreise wirklich durchziehst!

    Da gehört 'ne Menge Mut zu, denke ich... Ich wäre schon froh, wenn ich zumindest mal 'ne Zeit im Ausland leben könnte. :-)

    Liebe Grüße aus Duisburg

    Sebastian v. ROOTS & ROUTES TV

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  3. Ah, danke für deinen Gruß und schöne Grüße zurück aus Paris an dich und deine Freundin! Hab mich gefreut, von dir zu lesen.

    @ Sebastian

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  4. weiterhin alles gut, klingt interessant, passt auf die tiere auf! viele grüsse, wn

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  5. Der Gartenzwerg gefällt mir gut. Habt euch nen feinen Namen ausgedacht ;)
    Weiterhin viel Glück euch beiden!!

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