Dieser Text stellt die überdachte Formulierung des Textes Moral als Konsequenz oder als Ursache? dar
Menschen, die sich einem kollektiven Sammelsurium von Richtlinien, Geboten, Gesetzen oder Verhaltensempfehlungen unterwerfen, sprich, sich mit dem Titel des "Gutmenschens", des "Weltgewissens" oder dem "Bürger des Landes" schmücken, haben zwangsläufig die Eigenschaft, keine Individualität, keine Phantasie und keine Motivation zum Leben aus eigener Kraft zu haben. Diese 3 Stichpunkte bilden Kategorien, welche ich näher erläutern und meinen Standpunkt zu ihnen begründen will:
1.) Freiheit ("Individualität")
Wird ein heranwachsender Organismus durch äussere Umstände an seiner reinen Entwicklung gehemmt, hat das zur Folge, das die volle Qualität des Potenzials sich nicht entfalten kann. Stattdessen wird Individual-Qualität zur Dienstbarkeits-Qualität gewandelt, und der Organismus waltet nun fortan nicht mehr für sich, sondern für die Norm, die Familie, das Gesetz, der Ideologie oder der Politik, die seinen Werdegang unterbrach.
Dem physiologischen Organismus ist, im Menschen, der psychische Charakter untertänig. Sollte der psychische Charakter nun frei von allem Zwang auf eine Ideologie, Gesetz, etc. - kurz: auf eine Handlungsmotivation stossen, so steckt diese Motivation bereits ursprünglich im Wesen des Charakters, und ist damit kompatibel. Somit ist dies die gesunde Form einer sich entwickelnden Charaktereigenschaft.
Obwohl die Anzahl der Möglichkeiten der Entwicklung einer Persönlichkeit, die die Demonstration des Charakters im Alltag ist, ausserordentlich hoch ist, zeichnen sich im Alltagsbild klare Strukturen ab. Kulturströmungen, Stände, Religionen, Idole, oder Statussymbole. Wären die Instrumente der Institutionen, die für die Anteilnahme an ihnen werben, nicht so verführerisch, oder aber der sich entwickelnde Charakter von Personen nicht so leichtgläubig, so wäre es nicht die Norm, eine Identität zu sein, die sich, wie ein Baukastensystem, aus den am soziologischen Markt bietenden Angeboten, zusammensetzt.
Funktionale Menschen sind immer die Regel, immer zuerst anzunehmen, und ziehen sich durch alle Stände. Er findet sich nicht zwangsläufig gehäuft in den niederen Schichten des Ressentiments. Ganz im Gegenteil, in der Mittelschicht finden sich die besten Exemplare dieser Gattung; denn weder die Not, noch der Überfluss führen diese Menschen auf einen Wink, ihre Situation auch nur einzugestehen. Der wohlhabende ist sich der Situation meist bewusst, aber es wäre für ihn dumm, etwas zu tun, das die Situation ändern würde.
Ein solcher funktionaler Mensch ist für mich, ganz persönlich und subjektiv beurteilt, abstossend. Sie sind Inventar des Lebens, wie auch andere Dinge in der Aussenwelt. Schon früh habe ich es damals intuitiv gelernt, mit diesem Inventar umzugehen. Trotzdem ist es eine Geschmacksfrage, ernsthaften Verkehr mit Inventar-Menschen zu tätigen; und in meinem Falle ist es gegen meinen Geschmack.
2.) eigene Werte ("Phantasie")
Macht man sich erst Frei von den oben erklärten moralischen Zwängen, steht man nun vor einem neuen Problem. Das Feld der Möglichkeiten, sich zu entfalten, ist groß, nahezu unendlich groß. Nietzsche spricht im Vorwort von "Menschliches, Allzumenschliches" von einer krankhaften Vereinsamung, von der es noch ein weiter Weg ist, bis man sich dem Leben wieder nähert. Dieser Fall trifft auf Nietzsches Konzeption des freien Geistes vielleicht zu; in meinem Fall gibt es aber keine erneute Annäherung an das Leben, da ich mich ihm niemals entfremde. Einzig die Art, oder der Stil, den ich ausübe, um mich in "dem Leben" zu manifestieren, ist non-konformer, also nicht angepasster Natur. Ein moralbefreites Leben in einer moralischen Gesellschaft fordert an einigen Stellen eine künstliche Kompatibilität, die ich immer bereit gewesen bin, zu opfern.
Kulturelle Strömungsvorlagen in Form von Jugendbewegungen gibt es Zuhauf, einige Ausgestorbene, einige Aktive, und auch einige Neulinge. Sich diesen unterzuordnen wäre die Kapitulation der eigenen Individualität, und ist damit zu vermeiden. Künstliche Kompatibilität setzt aber voraus, das man mit einigen von ihnen symphatisiert, da man zwangsläufig mit ihnen in Kontakt tritt.
Der aktiv rebellische Jugendtypus, der Punk, der Hooligan oder der Metaller setzt sich gegen die Ideologie des herrschenden Systems ein; der passive Jugendtypus, wie der Hippie, oder der Anarchist setzt sich eine Parallelideologie, der er fortan mit seinen Argenossen angehört, an. Zum Schluss gibt es die Jugendbewegungen der Rohheit, Primitivität und Dummheit, der echte Gangster. Diese erreichen Nichts.
Zu allen diesen Strömungen eine der Situation angepasste Kompatibilität spielen ist Phantasielos. Für das Formen einer eigenen Kultur, die per Definition Elitär ist, nämlich seine eigenen Werte darstellt, ist Phantasie notwendig. Der Mangel an Phantasie bringt erst die Strömungen zusammen.
3.) Optimismus ("Schöpfen der Energie aus eigener Kraft")
Schopenhauers Pessimismus ist konsequent gedachte, wahre Weisheit. Er ist ebenso wenig zu leugnen, wie die theoretische Wahrheit des Solipsismus. Die Nichtigkeit des Lebens lächelt uns mit jedem tiefergehenden Gedanken über unsere Erscheinung in der Aussenwelt an. Spätestens der Tod macht alle Mühe zunichte. Allerdings war das pure Phänomen der Erscheinung des Lebens, in seinen Farben, Formen, Konturen und Kulturen für ihn immer negativ konnotiert, da er ausschliesslich das wahre (nichtige) Wesen dieser Erscheinungen beurteilte. Da man einem Phänomen aber nur das als Real attestieren kann, als das es erscheint, ist es falsch, ein Wesen eines Phänomens zu beurteilen. Es muss das, was erscheint, beurteilt werden, und das ist nunmal die farbenfrohe Welt, in der die Menschen herumtollen. Dieser kann doch wenigstens der Dualismus der Freude und des Leids, sprich, der Glückseligkeit mit Sicherheit attestiert werden. Damit ist der Schlüssel zum Glück eben nicht die epikureische Askese, sondern die dionysische Ekstase, der Rausch, der Lebensmut.
Dies ist der letzte Schritt, zu dem, wieder ganz persönlich gesprochen, ich mich bekenne - und die Variante, mit der ich meine Lebensfrist absolviere. Die Weltreise ist konsequenz aus alledem: Freiheit, Unabhängigkeit, Lebensenergie. Einzig an der Phantasie mangelt es mir noch. Aber diese Begabung fehlt mir nunmal. Ich habe nicht umsonst früher ausschliesslich weisse T-Hemden getragen, um damit auszudrücken, das ich nichts auszudrücken habe...